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Die ökonomischen Auswirkungen einer Verbesserung des deutschen Gewährleistungsrechts

Kilian Bizer, Martin Führ and Till Proeger

sofia Studien 2016, No 4 https://doi.org/10.46850/sofia.9783941627550

Ziel dieser Studie ist die empirische Überprüfung, ob −, wie in einer Reihe von ökonomischen Fachbeiträgen und von verschiedenen Verbänden angenommen − die Einführung der Richtlinie 1999/44/EG sowie deren Übererfüllung zu Preissteigerungen der betreffenden Güter führte. Ferner wurde untersucht, ob in Deutschland Märkte zwischen Privatpersonen vorhanden und zugänglich sind, auf denen Verkäufer keinen Gewährleistungspflichten unterliegen und die dadurch einen Marktausschluss von Konsumentengruppen verhindern könnten. Auf Basis dieser zwei empirischen Fragen wird eine Abschätzung der ökonomischen Effekte einer potentiellen Erhöhung der Gewährleistungspflichten in Deutschland möglich. Bei der Analyse der Preiseffekte zeigt sich, dass im Zeitraum der Einführung der Richtlinie zwischen 1999 und 2004 bei den häufig von Gewährleistungsansprüchen betroffenen Gütergruppen im europäischen Durchschnitt eine deutliche Senkung der Preise zu konstatieren ist – eine substantielle Steigerung der Preise im betreffenden Zeitraum ist folglich ausgeblieben. Dieser Effekt zeigt sich bei allen betrachteten Gütergruppen. Eine signifikante Steigerung der Preise im Verhältnis zur Inflationsrate findet sich zwar in einzelnen Produktgruppen und Jahren, wobei diese Steigerungen durch signifikante Preissenkungen in den Folgejahren kompensiert werden. Eine Clusteranalyse, welche die Länder nach dem Grad der Übererfüllung der Richtlinie unterscheidet, zeigt, dass sich deren Preisentwicklungen nicht systematisch unterscheiden, die Maximalerfüller haben also im Vergleich zu den Minimalerfüllern keine höhere Preissteigerung zu verzeichnen. Diese Ergebnisse machen einen deutlichen Preiseffekt der Richtlinie und eine Übererfüllung der Richtlinie unwahrscheinlich. Ferner zeigt die Analyse der Privatmärkte, dass in Deutschland ein erheblicher Anteil der Bevölkerung Zugang zu Online-Marktplätzen hat und ein ebenfalls hoher Anteil regelmäßig als Verkäufer auf diesen Märkten fungiert. Die besonders häufig von Gewährleistungspflichten betroffenen Gütergruppen werden hier gehandelt. Es besteht also ein gut etablierter, funktionsfähiger Privat-zu-Privat Markt ohne Gewährleistungspflichten. Aus den zwei Kernergebnissen lassen sich wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen ableiten. Weder die Einführung der Richtlinie selbst, noch die deutliche Übererfüllung lösten nachweisbare Preissteigerungen aus. Die Annahme, dass durch Preissteigerungen in Folge der Richtlinie eine Abnahme von Transaktionen resultierte, ist folglich nicht plausibel. Für die Diskussion um eine Erhöhung von Gewährleistungsfristen lässt sich zwar auf Basis historischer Daten keine Prognose der Reaktion des deutschen Marktes anstellen. Erhebliche Preissteigerungen mit negativen gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtseffekten erscheinen jedoch vor diesem Hintergrund zumindest sehr unwahrscheinlich. Ebenfalls unwahrscheinlich erscheint der Ausschluss von ganzen Konsumentengruppen, da im Falle partieller Preissteigerungen im Handel die Entstehung bzw. Ausweitung von Märkten zwischen Privatpersonen zu erwarten ist. Diese Märkte sind weithin bekannt und werden von einem erheblichen Anteil der deutschen Bevölkerung als Käufer und Verkäufer genutzt. Die Nutzung einer zentralen Online-Plattform garantiert dabei geringe Transaktionskosten bei der Nutzung der Sekundärmärkte. Damit gibt dieses Gutachten empirische Evidenz, die gegen gesamtwirtschaftlich negative Effekte einer Ausweitung der Gewährleistungspflichten in Deutschland spricht.

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