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Neoklassische Umweltökonomik in der Krise – Auf der Suche nach mehr Realitätsnähe und politischer Relevanz

Kilian Bizer / Bodo Linscheidt / Achim Truger

 

1. Symptome der Krise

 

Die neoklassische Umweltökonomik ist mittlerweile eine fest etablierte und gereifte Teildisziplin innerhalb der ökonomischen Wissenschaft. Nach dem Wiederaufgreifen von Pigous Theorie der externen Effekte Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre im Angesicht eines zunehmenden umweltpolitischen Problembewußtseins und der anschließenden systematischen Weiterentwicklung ist die Umweltökonomik heute aus Wirtschaftstheorie und -politik nicht mehr wegzudenken. Spezielle Fachzeitschriften haben sich entwickelt, gerade in jüngerer Zeit ist eine zunehmende Anzahl von einschlägigen Lehrbüchern zu beobachten, und das Grundlagenwissen der Umweltökonomik – vor allem die Problematik externer Effekte und ihrer Internalisierung (Pigou versus Coase) sowie die umweltökonomische Instrumentendiskussion mit ihrer Präferenz für marktwirtschaftliche Instrumente – haben einen festen Platz sogar in einführenden Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre, der Wirtschaftspolitik und der Finanz-wissenschaft gefunden.

 

Gleichzeitig scheint die Spitze der theoretischen Forschung in den internationalen Journals jederzeit bereit und in der Lage, neue drängende Umweltprobleme und Fragestellungen aufzugreifen und innerhalb des neoklassischen Analyserahmens zu behandeln. So entbrannte mit nur kurzer Verzögerung nach dem Aufkommen der zahlreichen Vorschläge zur ökologischen Steuerreform auf theoretisch höchstem Niveau die äußerst kontroverse "Double-Dividend-Diskussion", die sich mit der Frage beschäftigt, ob von einer ökologischen Steu-erreform eine doppelt positive Wirkung, nämlich durch Verbesserung der Umweltsituation einerseits und durch Verringerung der traditionellen Zusatzlasten der Besteuerung andererseits, einhergehen könne. Ebenfalls modelltheoretisch aufgegriffen und behandelt wurde mittlerweile das seit dem Brundtlandbericht im Mittelpunkt der öffentlichen umweltpolitischen Diskussion stehende Konzept der Nachhaltigen Entwicklung.

 

Wenn auch die Entwicklung der neoklassischen Umweltökonomik als wissenschaftliche Teildisziplin aus dem beschriebenen Blickwinkel äußerst erfolgreich und eindrucksvoll war und man ihr grundlegende theoretische und instrumentelle Erkenntnisse kaum wird absprechen können, so läßt sich u. E. doch nicht leugnen, dass sie aus einem anderen Blickwinkel – dem der angewandten Forschung und Politikberatung - in einer deutlichen Krise steckt. Diese Krise läßt sich etwas zugespitzt wie folgt formulieren:

Auf der einen Seite basieren weite Teile gerade der angesprochenen neueren Entwicklungen immer noch auf einer sehr abstrakten, institutionenlosen allgemeinen Gleichgewichtstheorie und Wohlfahrtsökonomik. So intellektuell anspruchsvoll und mathematisch elegant diese theoretischen Betrachtungen auch sein mögen, so wenig relevant sind sie doch häufig bei der Politikberatung und der Beantwortung konkreter umweltpolitischer Fragen. Dies im wesentlichen aus zwei Gründen: Erstens können in dem abstrakten modelltheoretischen Rahmen konkrete politische Ausgestaltungsfragen, etwa hinsichtlich der genauen instrumentellen und/oder institutionellen Ausgestaltung, nicht behandelt werden. Zweitens liefern die Ansätze häufig selbst auf der abstrakteren Ebene, für die sie konstruiert sind, – etwa hinsichtlich der Double-dividend-Frage - keine klaren Ergebnisse und umweltpolitischen Empfehlungen. Dies liegt nicht nur an unüberbrückbaren Differenzen hinsichtlich zentraler Grundannahmen oder an empirischen Unklarheiten, sondern häufig einfach an der erreichten Kunstfertigkeit im mathematischen Modellbau, die es erlaubt, durch kleine und empirisch nicht weiter reflektierte Annahmevariationen die Modellergebnisse komplett in ihr Gegenteil zu verkehren, was letztlich zu einer ziemlichen Beliebigkeit der Ergebnisse und Schlußfolgerungen führt. Söllner hat in ähnlichem Zusammenhang sogar von einem "dritten Hauptsatz der Wohlfahrtsökonomik" gesprochen, wonach sich von jeder wirtschafts- oder finanzpolitischen Maßnahme durch ein entsprechend spezifiziertes Modell zeigen lasse, dass sie paretooptimal sei. Insofern müssen sich viele der neueren neoklassischen umweltökonomischen Modelle durchaus mit dem Vorwurf der Realitätsferne konfrontieren lassen. In der Tat hat es an Kritik an den neoklassischen Grundannahmen der Umweltökonomik nie gefehlt, ohne dass dies offenbar bislang zu einer durchgreifenden Änderung des wissenschaftlichen Vorgehens geführt hat.

 

Auf der anderen Seite gibt es natürlich nicht nur die beschriebene Realitätsferne und verwirrende Komplexität und Widersprüchlichkeit der Ergebnisse am aktuellen Rand der umweltökonomischen Theorieentwicklung, sondern auch einen weitgehend unumstrittenen Kern von grundlegenden theoretischen Analysen und politischen Empfehlungen. Hierzu gehört eindeutig die in jedem Lehrbuch ausführlich behandelte umweltökonomische Instrumentendiskussion, die auf die vehemente Empfehlung des Einsatzes marktwirtschaftlicher Instrumente in weiten Bereichen der Umweltpolitik und eine deutliche Kritik an der Ineffizienz des in der umweltpolitischen Realität dominierenden Ordnungsrechtes hinausläuft. Gerade hier aber offenbart sich der zweite Aspekt der Krise der neoklassischen Umweltökonomik: Trotz vehementen Vortrags der Argumente für marktwirtschaftliche Instrumente in Politik und Öffentlichkeit, ungezählter einschlägiger Gutachten für die (umwelt-)politischen Entscheidungsträger und zahlreicher konkreter Versuche der Implementation dieser Instrumente, ist die Umsetzungsbilanz verheerend: Eine Umsetzung marktwirtschaftlicher Instrumente scheiterte entweder völlig oder die wenigen tatsächlich umgesetzten Instrumente – in Deutschland weitgehend Abgabenlösungen – haben mit der ursprünglich empfohlenen und ökonomisch rationalen Ausgestaltung so gut wie keine Ähnlichkeit mehr – es scheint, als ob sich ordnungsrechtliche Regulierungsmuster letztlich immer durchsetzten. So eindeutig die umweltökonomische Instrumentenempfehlung ausfällt, so erfolglos war also bisher die umwelt-ökonomische Politikberatung.

 

Diese Umsetzungsschwäche marktwirtschaftlicher Instrumente wird von den (Umwelt-)Ökonomen nicht einfach nur beklagt, sondern besonders in jüngerer Zeit auch mit den Mitteln der ökonomischen Theorie zu erklären versucht: Die Anzahl der Analysen der umweltpolitischen Instrumentwahl aus Sicht der Neuen Politischen Ökonomie ist steigend. Die Tatsache, dass es in repräsentativen Demokratien so schwer fällt, marktwirtschaftliche Instrumente im Umweltschutz zu implementieren, wird auf die Interaktion eigennutzorientierter politischer Akteure bei asymmetrischer Informationsverteilung zurückgeführt: Rationalerweise schlecht informierte Wähler können die eigennutz-orientierten Politiker nur sehr unvollkommen bei der Umsetzung ihrer (umwelt-)politischen Präferenzen kontrollieren. Die Politiker wiederum werden von mächtigen Interessengruppen beeinflußt und können ihrerseits wieder die eigene Interessen verfolgenden Bürokraten, auf deren Informationen sie angewiesen sind, nur unvollkommen kontrollieren. Da den erwähnten Akteuren mit einiger Plausibilität eine Präferenz für ordnungsrechtliche, allenfalls stark verwässerte marktwirtschaftliche Lösungen unterstellt wird, haben die umweltökonomischen Instrumentenempfehlungen im politischen Prozeß so gut wie keine Umsetzungschance.

 

Die Analysen der Neuen Politischen Ökonomie der Umweltpolitik gelangen zwar auch jenseits der referierten generellen Einschätzung zu interessanten, teilweise auch empirisch gut nachvollziehbaren Ergebnissen; einen Ausweg aus der Krise der neoklassischen Umweltpolitikberatung können sie jedoch bisher nicht aufzeigen. Die üblicherweise – übrigens fast schon stereotyp auch in vielen anderen Politikbereichen - unterbreiteten Lösungsvorschläge, wie etwa die Dezentralisierung und Stärkung des Föderalismus, die Stärkung plebiszitärer Elemente oder konstitutionelle Festlegungen oder Schranken für die Umweltpolitik waren in der politischen Umsetzung bisher in etwa genauso erfolgreich wie die ursprünglich empfohlenen marktwirtschaftlichen Instrumente. In diesem Sinne könnte man hier sogar von einem doppelten Versagen der (umwelt-)ökonomischen Empfehlungen sprechen.

 

Zusammenfassend läßt sich also mit einiger Berechtigung von einer Krise der neoklassischen Umweltökonomie sprechen. Für den an umweltpolitischer Beratung und Problemlösung interessierten Ökonomen sind die Aussichten alles andere als rosig. Einerseits sind weite Teile der hochkomplexen neueren Theorie so abstrakt und realitätsfern, dass sie für die konkrete Beratung nicht geeignet sind. Andererseits wird gerade der Teil der Umweltökonomik, der mit seinen Instrumentempfehlungen nach allgemeiner Einschätzung praktisch relevante und dringend politisch umzusetzende Ergebnisse liefert, im politischen Prozeß seit Jahrzehnten ignoriert.

 

 

2. Auf der Suche nach neuen Wegen

 

Es liegt nahe, zur Überwindung dieser Krise die Theoriebildungsstrategie der Umweltökonomik kritisch zu reflektieren und wo notwendig zu modifizieren. Die wirtschaftstheoretische Behandlung des Umweltproblems und der Möglichkeiten zu seiner Bewältigung muss die methodischen Grenzen der bisherigen Theoriebildung überwinden und sich stärker an den tatsächlichen Abläufen und Rahmenbedingungen gesellschaftlicher Prozesse orientieren, wenn sie die Basis für eine anwendungsnahe Politikberatung liefern will. Die umweltökonomische Analyse muss sich in diesem Sinne der institutionellen Realität öffnen und eine grundlegende theoretische Neuorientierung anstreben; eine weitere Ausdifferen-zierung neoklassischer Standardanalysen, gepaart mit stereotypen Staatsversagensdiagnosen wird die beschriebene Politikberatungskrise eher noch verschärfen. Dabei ist ein neuer, in sich geschlossener Theorieansatz noch nicht verfügbar; es zeichnen sich jedoch u. E. zumindest zwei Themenfelder ab, die dazu beitragen können, mehr Realitätsnähe zu entwickeln.

 

Hierzu gehört erstens die vertiefte Analyse politischer Entscheidungs- und Durchsetzungsprozesse in all ihren Dimensionen, d. h. unter Berücksichtigung aller relevanten Akteure und ihrer vielschichtigen Motivstrukturen. Die Einbeziehung der politischen Dimension in die theoretische Behandlung eines Problembereichs kann sich nicht darin erschöpfen, das Scheitern der unumstößlich als "richtig" erkannten Empfehlungen über das Wirken eigennütziger Interessenvertreter und Bürokraten zu erklären. Vielmehr sind die zentralen Fragen neu zu stellen und neu zu beantworten: Wer sind die relevanten Akteure im politischen Prozess? Welche Handlungsmuster und Widerstände lassen sich empirisch feststellen? Welche theoretischen Erklärungen passen zu diesem Befund? Und welche Konsequenzen hat dies für die Rolle des Staates in der Umweltpolitik im allgemeinen und die Empfehlungen der Politikberatung im besonderen?

 

Darüber hinaus ist zweitens auch die institutionelle Dimension der Umweltpolitik jenseits des politischen Prozesses im engeren Sinne in die Analyse zu integrieren. Hierzu bietet die sich rasch entwickelnde Neue Institutionenökonomik einen theoretischen Ausgangspunkt. Individuen sind - auch und gerade im Kontext ökologischer Problemlagen - keine rationalen Maschinen in einer friktionslosen Welt. Sie sind vielmehr durch unvollkommene Informationen, kognitive Beschränkungen und eine vielschichtige Motivstruktur gekennzeichnet. Eine realitätsnahe umweltökonomische Analyse muss einerseits die sich hieraus ergebenden Restriktionen bzw. Transaktionskosten berücksichtigen und ihre Bedeutung für die Handlungsmöglichkeiten der Akteure herausarbeiten. Sie muss sich andererseits den (formellen oder informellen) Regeln und Normen zuwenden, die zur Bewältigung der vielfältigen Koordinationsprobleme realer Wirtschaftssysteme dienen und den Erfolg staatlicher Maßnahmen im Umweltschutz entscheidend beeinflussen können.

 

Zu diesen grundlegenden Regeln wirtschaftlicher Austauschbeziehungen gehören zunächst die Eigentumsrechte einer Gesellschaft. Aktive Umweltpolitik ist per se als (Neu-)Verteilung von Nutzungsrechten anzusehen; es ist daher un-mittelbar einleuchtend, dass ihre Handlungsmöglichkeiten und Wirkungen von der allgemeinen Rechtestruktur abhängt. Darüber hinaus ist jedoch auch der sonstige, vorwiegend öffentlich-rechtlich geprägte institutionelle Rahmen staatlichen Handelns zu berücksichtigen. Hierzu gehört etwa die föderale Kompetenzzuweisung eines politischen Systems, die sonstigen verfassungsrechtlichen Einschränkungen oder das gegebene umwelt- und planungsrechtliche System inklusive der konkreten Verwaltungsstrukturen. Derartige Regeln sind – vor allem kurzfristig – nur begrenzt veränderbar; entsprechend stellen sie für eine politiknahe umweltökonomische Analyse ein Datum dar, das in die Empfehlungen für staatliches Handeln einbezogen werden muss.

 

Eine theoretische Neuorientierung der Umweltökonomik in die hier angedeutete Richtung führt beinahe zwangsläufig dazu, dass die Beiträge anderer Disziplinen – so z. B. der Rechtswissenschaft, der Politikwissenschaft, der Soziologie oder der Sozialpsychologie – zu umweltpolitischen Fragestellungen stärker von der Umweltökonomik rezipiert und verarbeitet werden. Realitätsnahe Theoriebildung kann nicht an den methodischen Disziplingrenzen halt machen, sondern muss empirisch bewährte Hypothesen ungachtet ihrer disziplinären Herkunft berücksichtigen. Dieser interdisziplinäre Annäherungsprozess steht noch am Anfang; ob er jemals in einer gemeinsamen theoretischen und normativen Basis der Sozial- und Rechtswissenschaften enden kann, muß offen bleiben.

 

 

3. Die Beiträge

 

Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes illustrieren aus jeweils unterschiedlichem Blickwinkel und anhand konkreter Einzelfragen die Begrenztheit bisheriger neoklassischer Standardanalysen und -konzepte der Umweltpolitik. Gemeinsam ist ihnen insofern das Bestreben, politische und institutionelle As-pekte des Staatshandelns im Umweltschutz stärker zu berücksichtigen und dadurch neue Perspektiven für die Umweltökonomik aufzuzeigen. Verbindendes Element ist jedoch nicht ein gemeinsamer theoretischer Analyserahmen oder gar ein in sich konsistentes Paradigma zur ökonomischen Behandlung von Umweltproblemen, sondern eher die Suche nach einer Erweiterung des bestehenden Rahmens hin zu einer realitätsnäheren Basis für umweltpolitische Empfehlungen. Die Beiträge sollen keinen Gesamtentwurf bieten - dies wäre gegenwärtig ein vermessener Anspruch - sondern regen zum Nachdenken über die zukünftigen Entwicklungsperspektiven einer politikrelevanten umweltökonomischen Analyse an.

 

Der Band gliedert sich in drei Teile mit jeweils eigener Schwerpunktsetzung. Teil 1 widmet sich der Frage nach alternativen Erklärungsansätzen für das politische Scheitern neoklassisch abgeleiteter Politikempfehlungen und den daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen. Daran anschließend thematisiert Teil 2 die Frage, welche Rolle der Staat in der modernen Umweltpolitik einnehmen kann bzw. soll und welche Implikationen hieraus für die instrumentelle Strategie folgen. Teil 3 schließlich illustriert anhand ausgewählter Beispiele, welche Einflussfaktoren und Problemstellungen sich für eine anwendungsnahe Umwelt-ökonomik durch den realen institutionellen Rahmen der Umweltpolitik ergeben.

 

Teil 1 beginnt sinnvollerweise mit einem polit-ökonomischen Beitrag. In seinen Betrachtungen zur Internalisierung als Nirwana-Kriterium der Umweltpoli-tik hebt sich Klaus W. Zimmermann jedoch in zweifacher Hinsicht deutlich von den üblichen Analysen in der Literatur ab. Er arbeitet zunächst die Grenzen überhaupt wünschbarer Internalisierung deutlicher heraus und macht zweitens die Internalisierung selbst zum Gegenstand der polit-ökonomischen Analyse. Das Ziel der Internalisierung wird nicht von vornherein zu Gunsten des Standard-Preis-Ansatzes von Baumol und Oates aufgegeben, sondern als weiterhin existierende Option für Lobbies und Staat in die polit-ökonomische Analyse eingespeist. Dies ermöglicht eine neue Sichtweise und ökonomische Erklärung des Verhaltens der umweltpolitischen Akteure und der durch sie bewirkten Ziel- und Instrumentwahl.

 

Achim Truger wählt als Ausgangspunkt dagegen die traditionelle Neue Politische Ökonomie der Umweltpolitik und fragt, ob sich aus ihr ein grundlegender Staatsversagensvorwurf herleiten läßt. Er bezieht explizit die Rolle der Wissenschaft bei der umweltökonomischen Politikberatung in die Analyse ein und argumentiert auf Basis der konstitutionellen Ökonomik, dass ein Staatsversagensvorwurf nicht gerechtfertigt sei. Erstens sei dafür empirisch die Uneinigkeit der Ökonomen über die "optimale" Umweltpolitik – demonstriert am Beispiel der ökologischen Steuerreform – zu groß. Zweitens führe der konstitutionelle Staatsversagensvorwurf bei konsistenter Betrachtung mit gleichem Recht auch zum Vorwurf des "Wissenschaftsversagens". Er plädiert daher für den Verzicht auf grundlegende Staatsversagensvorwürfe und eine wohlwollendere Betrachtung der demokratischen Prozesse in der Umweltpolitik.

 

Auch Kilian Bizer erweitert den Kreis der betrachteten politischen Akteure. Er sieht eine wesentliche Ursache des Scheiterns umweltökonomischer Politikempfehlungen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Er macht darauf aufmerksam, dass anerkennungsmaximierende Bundesverfassungsrichter einem Anreizproblem unterliegen, und fragt, ob dieses Anreizproblem eine Ursache für die restriktive Rechtsprechung des Gerichts sein könnte, das in der Gewaltenteilung eine zentrale Stellung innehat. Der Beitrag bezieht damit die Herangehensweise der Neuen Politischen Ökonomie auf die Rolle der Verfassungsrichter als Akteure und diskutiert, ob und auf welche Weise diese institutionell gebunden werden können.

 

Erik Gawel weist in seinem Beitrag auf eine weitere potentielle Erklärung für das Versagen der umweltökonomischen Politikempfehlungen hin. Als wesentliche Ursache sieht er die Probleme interdisziplinärer Verständigung zwischen Ökonomen und Juristen und konstatiert als wichtigste Barriere ein Rezeptions-defizit des umweltökonomischen Effizienzbegriffs innerhalb des Umweltrechtes. Dies sei umso erstaunlicher, als es auf der Grundlage des ökonomischen Prinzips eigentlich zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine interdisziplinäre Verständigung gebe, die eine beachtliche "Kooperationsdividende" erlauben würde.

 

Derartige Dividenden sind nicht nur zwischen Ökonomie und Rechtswissenschaft zu erwarten, sondern auch zwischen Ökonomie und Sozialpsychologie. Olaf Tidelski verdeutlicht in seinem Beitrag, dass und inwiefern umweltpolitische Instrumente auch eine kognitive Dimension haben, deren Vernachlässigung zu kontraproduktiven Ergebnissen führen kann. In Erweiterung bisheriger motivationspsychologischer Ansätze in der ökonomischen Theorie demonstriert er im Rahmen der Reaktanztheorie, dass es nicht allein darauf ankommt, das ökonomisch effiziente Instrument, sondern dasjenige zu finden, das auch auf eine ausreichende Akzeptanz bei den Bürgern stößt. Die Umsetzung umweltökonomischer Politikempfehlungen kann nur insoweit gelingen, wie unnötige Reaktanz im politischen Prozeß vermieden werden kann.

 

Im ersten Beitrag von Teil 2 stellen Thomas Petersen, Malte Faber und Johannes Schiller der ernüchternden Umweltpolitikanalyse der Neuen Politischen Ökonomie die Vorstellung des Staates als aktivem Element in einer evolutionären Wirtschaft gegenüber. Ausgangspunkt ist dabei das vom neoklassischen homo oeconomicus abweichende Menschenbild des homo politicus, der das Ge-meinwohl zu seinem Ziel macht, die dafür geeigneten Maßnahmen ergreift und dabei auch persönliche Nachteile in Kauf nimmt. Die Autoren erklären auf diese Weise das Phänomen des modernen Ministerialbeamten, der sich sachpolitisch für gemeinwohldienliche Konzepte einsetzt und dabei gerade nicht Eigeninteressen verfolgt. Aus dieser Analyse folgt, dass die Bedeutung des Staates für den umweltpolitischen Fortschritt über die Annahme rational-egoistischer Nutzenmaximierung nicht adäquat erfaßt werden kann.

 

Wolfgang Benkert vertritt in seinem Beitrag demgegenüber die These, dass der Staat sich in der Umweltpolitik stärker zurückhalten sollte. Er geht davon aus, dass die umweltpolitischen Defizite bei der Regulierung von Umweltnutzungskonflikten die begrenzten Erfolgspotentiale der Umweltpolitik verdeutlichen. Der Staat sei sowohl hinsichtlich seiner Handlungsmöglichkeiten als auch seiner Motive mit der Bewältigung von Umweltproblemen überfordert. Als Ausweg aus diesem Dilemma sieht er eine Lenkungsstrategie mit geringerer Einmischung, die den Staat entlastet. Hierzu zählt er insbesondere die verstärkte Nutzung des Haftungsrechts, des Öko-Audits und der Kooperation mit der Wirtschaft über freiwillige Selbstverpflichtungen.

 

Auch Bodo Linscheidt geht von der These aus, dass der Staat mit einer vollständig hoheitlichen Lösung der Umweltprobleme häufig überfordert ist. Er behandelt daher die Frage, ob bzw. unter welchen Bedingungen eine stärker kooperative Strategie die Erfolgsaussichten der Umweltpolitik verbessern kann. Sein Ergebnis ist, dass Kooperationen zwischen Staat und Verursachern aus transaktionskostentheoretischer Sicht unter bestimmten, allerdings engen Bedingungen tatsächlich Vorteile aufweisen können, insbesondere für die Ausschöpfung sog. "No-Regret-Potentiale". Gleichzeitig weist er auf die (umwelt-) politischen und rechtsstaatlichen Risiken einer derartigen Strategie der Verant-wortungsdelegation an die Schädiger hin, die sich nur durch strenge demokratisch-pluralistische Verfahrensvorgaben und eine fundierte wissenschaftliche Kontrolle der Politikgestaltung in Grenzen halten lassen.

 

Zu Beginn von Teil 3 diskutiert Dietrich Fürst die institutionellen Bedingungen der Raumplanung und ihrer Fachplanungen. Er schildert, vor welchen historisch gewachsenen Strukturen die Raumplanung steht und wie sie die damit ver-bundenen Koordinationsprobleme überwinden kann. Im Mittelpunkt steht dabei das Zusammenspiel mit den jeweiligen Fachressorts. Erfolgreich kann die Raumplanung nur sein, wenn sie kooperative Handlungsformen wie etwa zwischenbehördliche und gebietskörperspezifische Kooperationen auch auf regionaler Ebene entwickelt und sich in konkreten Projektorientierungen gesellschaftlich relevanten Fragen stellt.

 

Daran anknüpfend verdeutlicht Eckhard Bergmann, welche Vorteile, aber auch Probleme mit einer Regionalisierung nachhaltiger Politikstrategien verbunden sind. Er zeigt, daß es zwischen den Zielen, kleinräumig Kreisläufe zu schließen, um ökologische Belastungen zurückzuführen, und der Stärkung der wirtschaftlichen Standortqualität von Regionen zu einem Widerspruch kommt: Die Regionalisierung der Wirtschaftsstrukturen, läßt sich nur über eine Verteuerung von Mobilität durchsetzen. Eine Verteuerung von Mobilität, so macht Bergmann eindrücklich klar, wird aber abgelegene Regionen deutlich benachteiligen und Entfernung als Standortnachteil akzentuieren. Die Diskussion um regionale Nachhaltigkeit muß folglich mit einem immanenten Widerspruch leben.

 

Rainer Scholl widmet sich in seinem Beitrag den Auswirkungen der Privatisierungs- und Liberalisierungspolitik auf den Umweltschutz. Er setzt sich auf der Basis einer differenzierten Analyse unterschiedlicher Arten der Privatisierung und Liberalisierung insbesondere kritisch mit der These negativer Umwelt-wirkungen der Liberalisierung auseinander. Er argumentiert, dass diese These im allgemeinen nicht gerechtfertigt sei. Erstens könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Staat vor der Privatisierung in seinen Betrieben einen besonderen umweltpolitischen Einfluß ausgeübt habe. Zweitens sei es zumindest theoretisch möglich, einen eventuellen Verlust an umweltpolitischem Einfluß durch entsprechende Gestaltung der speziellen oder allgemeinen umweltpolitischen Rahmenbedingungen auszugleichen oder sogar überzukompensieren.

 

Michael Thöne stellt in seinem Beitrag zur umweltpolitischen Eignung von Subventionen der bekannten neoklassisch-allokationstheoretischen Kritik an diesem Instrument eine differenziertere institutionelle Perspektive gegenüber. Die Bewertung von Subventionen hängt danach auch von der herrschenden Eigentumsordnung ab. Sofern private Eigentumsrechte nach allgemeiner Vorstel-lung das Recht zur Umweltschädigung beinhalten, müssen die Marktteilnehmer für einen Nutzungsverzicht entschädigt werden. Zudem lassen sich Subventionen bei politischen Durchsetzungsproblemen auch als Konfliktminderungsinstrument rechtfertigen. Da diese Rechtfertigungen regional und national differieren, tritt zwangsläufig ein Konflikt zur europäischen Beihilfekontrolle auf, die vorwiegend auf Vereinheitlichung und Abbau industriepolitischer Wettbewerbsverzerrungen ausgerichtet ist.

 

 

Literatur

 

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