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Fiskalföderalismus und gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Grundlegender Reformbedarf des österreichischen Finanzausgleichssystems

Thomas Döring

sofia Diskussionsbeiträge 2014, No. 2  https://doi.org/10.46850/sofia.9783941627321

Aus Sicht der Theorie des Fiskalföderalismus folgt die Ausgestaltung der Finanzausgleichsbeziehungen –verstanden als die Gesamtheit der Regelungen, welche die Zuordnung von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen zwischen den Ebenen (Bund, Länder und Kommunen) eines föderativen Staates betreffen –traditionell sowohl Allokations- als auch Verteilungsüberlegungen. Unter dem Allokationsziel steht dabei die Effizienz des staatlichen Leistungsangebots mittels Dezentralisierung der öffentlichen Aufgabenerfüllung im Vordergrund. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die teilweise Aufgabenwahrnehmung durch dezentrale Staatseinheiten (Länder und Kommunen) in der Summe ebenso wie im Zusammenspiel (dezentraler Wettbewerb) zu einer Wohlfahrtssteigerung innerhalb einer Volkswirtschaft führt. Die partielle Dezentralisierung staatlicher Hoheitsgewalt beeinflusst dabei die gesamtwirtschaftliche Entwicklung insofern, als sie zu einer verbesserten Ressourcenallokation und damit zu einer Begrenzung der Staatsquote beiträgt. Unter dem Verteilungsziel dient das Finanzausgleichssystem demgegenüber der Realisierung räumlicher Ausgleichsziele. Neben der vertikalen Finanzmittelverteilung zwischen den Staatsebenen (Bund, Länder, Kommunen) steht hierbei vor allem der horizontale Finanzausgleich zwischen einzelnen Ländern und Kommunen im Mittelpunkt der Ausgestaltung der föderalen Finanzbeziehungen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht dient der Fiskalföderalismus hierbei der Realisierung einer gleichmäßigeren Wohlstandsverteilung zwischen den Regionen einer Volkswirtschaft. Zusätzlich zum Allokations-und Verteilungsziel sehen Föderalismus und Finanzausgleich sich aktuell zudem mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Dies betrifft beispielsweise die Probleme der zukünftigen demographischen Entwicklung mit ihren Auswirkungen auf die Bereitstellung und Finanzierung öffentlicher (Infrastruktur-)Leistungen insbesondere im ländlichen Raum. Dies betrifft vor allem jedoch die Veränderung ökonomischer Wachstumsprozesse aufgrund einer zunehmenden wirtschaftlichen Integration auf europäischer wie auf globaler Ebene, was eine Umorientierung in Richtung der Schaffung eines föderalen Handlungsrahmens zur Unterstützung einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung im Raum erforderlich macht. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Sicherung gesamtwirtschaftlichen Wachstums vor allem im Wecken und Unterstützen regionaler wie lokaler Entwicklungspotenziale besteht, dem auch die Gestaltung der föderalen Finanzbeziehungen Rechnung zu tragen hat. Mit Blick auf das bestehende Finanzausgleichssystem in Österreich ist dabei festzustellen, dass es in allen drei genannten Zieldimensionen (Allokation, Verteilung, Wachstum) über mehr oder weniger große Defizite verfügt. So gilt die föderale Aufgaben-, Ausgaben-und Einnahmenverteilung aufgrund ihrer ausgeprägten Zentralisierung und Aufgabenverflechtung nicht nur als vergleichsweise ineffizient. Zudem steht zu befürchten, dass die vorrangig am Ziel der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ ausgerichtete Gestaltung der Finanzausgleichsbeziehungen dazu geführt hat, dass lokale und regionale Wachstumspotentiale, die für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Österreichs bedeutsam sind, nicht in hinreichendem Maße ausgeschöpft werden.

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